1 Haushalt

Norbert Bayer | Björn Streeck

19.6.–1.8.2021

Die Ausstellung ist am Samstag, den 19. Juni 2021 von 15–20 Uhr geöffnet.
Öffnungszeiten Do & Fr, 13–16 Uhr & nach Vereinbarung
Einlass nur unter den Bedingungen der jeweils gültigen Corona-Verordnungen

 

Menschen werden oft zu einer Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft – zu einem oikos –, wenn sie sich entscheiden, ihre Beziehungen abzusichern. Von oikos leiten sich die Begriffe »Ökonomie« und »Öko­logie« ab, also gesellschaftliches Handeln prägende Forschungsfelder, deren Ansätze bis heute oftmals den individuellen Akteur und seinen Vorteil betonen.

In »1 Haushalt« kontaminieren sich die Werke von Norbert Bayer und Björn Streeck und sind miteinander verquickt. Sie wollen nicht mehr autark sein, sondern sich gegenseitig in der Ausstellung verwandeln. Sie können deshalb nicht durch eine Logik erfasst werden, für die ein einzelnes Objekt zur Analyse ausreichen würde; stattdessen gehen sie in einer Verflechtung von Übergangsstadien auf. Sie erweitern ihre jeweiligen Wirkungsräume und betonen, dass menschliches Handeln immer schon mit den Verhaltensweisen anderer verwoben ist. Das einzelne Werk als individueller Mitwirkender und seine spezifische Exposition verlieren dadurch an Bedeutung. Gemeinsam ist den Künstlern der Fokus auf ihre Verletzlichkeit, die beide anerkennen, indem sie das Prekäre ihrer Arbeiten betonen.

Durch die Abwesenheit eines Ziels gibt es keine Suche nach einem alles beherrschenden und einheitlichen Grundprinzip, stattdessen wird ein Zusammenspiel und Ineinanderfließen der Gegensätze bevorzugt. Die beiden Künstler formulieren eine Substanzkritik und eine Ästhetik der Relation: Die Beziehungen der Dinge und die in ihnen angelegte Virtualität sowie ihr potenzielles Anderssein, die erst dekodiert werden müssen, sind wichtiger als die exakten Bestandteile. Das Kontextuelle wird von ihnen priorisiert und ihre egozentrische Kontrolle aufgegeben.

Diese Art von Bescheidenheit bekommt ein neues Gewicht durch eine besondere Kraft, die außerhalb von Beziehungen steht und die deren intentionalen Aspekte negiert. Aus den von ihr geprägten Beziehungen soll niemals soziales Kapital geschlagen werden, sondern sie erkennen ihrerseits mit persönlicher Zurückhaltung die Existenz von äußeren Kräften an.

N: »Wir schreiben das Jahr 2021. Ich versuche meine Tür zu öffnen und es geht nicht, weil sich drinnen zu viel Müll auftürmt. Habe ich früher einmal zehn Prozent meines Gehaltes ausgegeben, um unnütze Dinge zu kaufen, muss ich jetzt weitere zehn Prozent ausgeben, um all diese unnützen Dinge wieder loszuwerden.«
B: »Wer Geld hat und wer nicht, erkennt man daran, wessen Müll abgeholt wird.«
N: »Immer mehr Systeme brechen zusammen. Das Leben ist auf ein kleineres Maß zurückgeschraubt – wir arbeiten zu Hause und sind mit der Welt und unseren Freunden durch elektronische Systeme verbunden, die Tag und Nacht Informationen hinein und hinaus senden.«
B: »Das Sich-Einspinnen in den eigenen vier Wänden, ein Trend, den ich als erster in den späten Siebzigern prognostiziert hatte, ist in vollem Gang. Jeder sieht in seinem Zuhause den sicheren Hafen – man lässt die Rollläden herunter, schüttelt die Kissen auf, betätigt die Fernbedienung. Man versteckt sich. Ein totaler Rückzug in die letzte kontrollierbare Umgebung – ins eigene Zimmer. Ich sah diesen Trend kommen, als die Party, die ihm vorausging, noch in vollem Gang war. An den fernen Küsten des Schickeria-Lebens war die Welt davor ein einziges großes Nachtclub-Discorama. Der Satz ‹Behüte mich!› bekommt jetzt eine neue Bedeutung.«
N: »Endlich erfreuliche Nachrichten über den Kokon! Wir feiern dort eine neue Art von Party. Wir laden sehr selektiv eine neue Art von Gästen zu uns nach Hause ein. Wir bewirten unsere Gäste im eigenen Heim, jawohl, aber nicht aus den üblichen Gründen. Wann wird das Nest-Dasein zu Ende sein oder durch etwas anderes ersetzt werden?«
B: »Wenn die Dinge drinnen genauso schlimm werden wie draußen. Oder wenn sie draußen besser werden.«
N: »Also erstmal das bisschen Haushalt aushalten. Die Dinge gehen nicht immer von A nach B, vom Schlechten zum Schlechteren.«
B: »Oh, liebe Schwestern, unser Leben ist noch nicht zu Ende. Wir werden leben! Und was wächst und stärker wird, ist nur der eine Traum…«

oder

N: »Schau dich um! Eine grundlegende Eigenschaft von Alltagsgegenständen ist es, dass sie nützliche Funk­tionen erfüllen können. Sie sind hergestellt worden, um gebraucht und benutzt zu werden, und diese Zweckorientiertheit setzt sie von natür­lich ent­stan­denen Objekten, die lediglich geworden sind, deutlich ab.«
B: »Deshalb will ich mich von einer ‹Ästhetik des Besonderen› lösen und strebe eine umfassende Trans­formation von Lebens-, Gebrauchs- und Wohnstandards an. Trotz meiner handwerklichen Produktion bemühen sich meine Erzeugnisse, wie industriell gefertigte und typisierte Objekte zu wirken.«
N: «‹Kunst› wird nicht mehr dahingehend interpretiert, dass sie dem Individuum innewohne und verfeinert werden müsse, sondern als vermitteltes und zu vermittelndes politisches wie rationales Konzept, dessen Resultate ins Alltagsleben integriert werden sollten.»
B: »Dabei beschränken sich aber deine Ziele aber auf eine Neugestaltung von bereits Existierendem. Dies ist auch einer der Kritikpunkte an deiner Herangehensweise und deinem Konzept, das ‹modern› sein will, aber in einer bereits bestehenden Lebensweise verharrt. Auf diese Weise verfehlst du das utopische Moment. Gehe vorwärts, breche radikal mit der Vergangenheit und überlasse die Konsequenzen sich selbst! Nach mir die Sintflut!«
N: »Das war der alte Weg – bauen, konstruieren, zerstören, radikal überholen.«
B: »Gerade in der abgeschirmten Vertrautheit und Heimlichkeit des bürgerlichen Haushalts besteht die Verunsicherung. Also heimlich ist ein Wort, das seine Bedeutung nach einer Ambivalenz hin entwickelt, bis es endlich mit seinem Gegensatz unheimlich zusammenfällt. Unheimlich ist irgendwie eine Art von heimlich. Die Kritik an der klassizistischen Ästhetik, bekommt innerhalb der Diskussion um die moderne Avantgarde dort ihre Brisanz, wo das Neuartige zwar schreckhaft und unheimlich sein kann, dass dies aber durchaus nicht ausreicht.«
N: »Aber es verbietet sich doch, in der Häuslichkeit und Heimlichkeit des Raumplanes eine Ästhetik des schönen Scheins im klassischen Sinne und eine Repräsentation der Individualität seiner Bewohner zu sehen. Nichts verachte ich mehr, als dass in jedem Ornament, in jeder Form, in jedem Nagel die Individualität des Besitzers ausgedrückt sein muss.«
B: »Zum Neuen und Nichtvertrauten muß erst etwas hinzukommen, was es zum Unheimlichen macht.«
N: »Das Unheimliche ist das Heimlich-Heimische, das eine Verdrängung erfahren hat und wiedergekehrt ist.«
B: »Die Tiefe muss man verstecken.«
N: »Wo?«
B: »An der Oberfläche. Du kennst ja meine Obsession für klare Oberflächen. Berührung und damit auch die Oberfläche sind en vogue.«
N: »Neben Kunstfertigkeit und Geschicklichkeit ist eine eingehende Aufmerksamkeit fürs Detail genau das, was reaktionär zu sein scheint, denn eine solche Aufmerksamkeit könnte ja den rasanten Lauf des Fortschritts nur verlangsamen.«
B: »Kein politischer Revolutionär, der die kapitalistische Produktionsweise in Frage stellte, zog je in Betracht, das Erdklima zu redesignen. Auch was es bedeutet, etwas zu ‹machen›, ist tiefgreifend modifiziert worden.«
N: »Zahlreiche sich im Alltag entwickelnde Defizite wurden kritisch ausgelotet und kommentiert. Ein wichtiges Thema war dabei die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die in wesentlichen Aspekten unvollendet blieb.«
B: »Bevor man die ethische Perspektive in den Vordergrund hätte stellen können, wäre zunächst eine Rekonstruktion der Funktion des griechischen ‹oikos› im Zusammenhang mit dem asymmetrischen Verhältnis zwischen Frau und Mann in der Ehe sowie mit seiner Funktion für den Erhalt der ‹polis› nötig gewesen. Der Diskurs über den ‹oikos› konstituiert sich als ein ökonomisches Erkenntnisfeld, in dem sich Machtrelationen abbilden.«
N: »Dabei geht es um Erwerbskunst, Kunst der inneren Haushaltsführung und Kunst der Menschenführung. Die sexuelle Selbstbeherrschung des Mannes ist eine Notwendigkeit, die diesen Erfordernissen der Ökonomie geschuldet ist.«
B: »Wer den ganzen Tag über ernst ist, wird nie das Leben genießen, wer den ganzen Tag über leichtsinnig ist, wird nie einen Haushalt gründen.«